Gesundheitsfürsorge für seelische Erkrankungen

10.10.2021

Etwa eine Milliarde Menschen leiden weltweit unter psychischen Störungen. Jeder kann betroffen sein. Das betont die WHO am heutigen World Mental Health Day und fordert u.a. mehr Investitionen in die Gesundheitsfürsorge zu seelischen Erkrankungen.

Laut WHO kostet der Produktivitätsverlust durch Depressionen und Angsstörungen, zwei der häufigsten seelischen Erkrankungen, die Weltwirtschaft jährlich eine Billion US-Dollar. Im Schnitt verwenden Länder 2 Prozent ihres nationalen Gesundheithaushalts für Mental Health. Daran hat sich in den vergangenen Jahren wenig geändert.

Wir sprechen mit Dr. Martina Aßmann, Vorständin im MBSR-MBCT Verband

Die Pandemiesituation kann besonders für Menschen, die an Depression leiden, eine besondere Belastung sein. Sie arbeiten als Verhaltenspsychotherapeutin im ambulanten Bereich. Mit welchen Problemen und Fragen kommen die Menschen zu Ihnen?

Zu mir kommen vor allem Menschen, die in arbeitsbedingten Kontexten krank geworden sind und unter stressbedingten Symptomen wie Ängsten oder Depressionen leiden. Die Pandemiesituation hat uns einfach alle erschüttert und in Kontakt mit Unsicherheit gebracht, auf die wir teilweise mit Angst reagieren. Auch Menschen, die gar nicht zum Grübeln neigen, haben in dieser Situation angefangen, „Gedanken zu kreiseln“.

Menschen, die aufgrund ihrer depressiven Vorgeschichte dazu neigen, werden davon immer wieder eingeholt. In den letzten anderthalb Jahren kommen vermehrt Angstpatienten, Menschen, die schon immer eher ängstlich reagieren und deren Ängste unter den gegebenen Umständen zugenommen haben oder auch unkontrollierbar geworden sind.

Wie kann MBCT Menschen mit seelischen Erkrankungen helfen? Und vielleicht vorweg - was ist MBCT überhaupt?

MBCT, also Mindfulness-based Cognitive Therapy, ist ein psychotherapeutisches Verfahren mit einem großen Achtsamkeitspraxisteil. Wir üben, auf den gegenwärtigen Augenblick zu schauen und erhöhen damit unsere (liebevolle) Selbstfürsorge. Wir bekommen mehr mit, auch von unseren Bedürfnissen, vielleicht nach Pausen, gesünderem Essen, Bewegung oder auch Nähe. Wir lernen unsere Belastungsgrenzen besser kennen und im günstigsten Fall auch einzuhalten. Die übenden Anteile des Programms sind gut geeignet, unsere Beruhigungssysteme zu stärken und unsere „innere Alarmanlage runterzuregulieren“, wie es der Psychologe und Hirnforscher Richard Davidson beschreibt. Das allein wirkt schon gut gegen Ängste und kann uns lehren, Unsicherheit einfach als Unsicherheit zu erfahren ohne in Angst und Panik zu verfallen. 

Dazu kommen im MBCT auch psychoedukative Anteile, die uns vergegenwärtigen, in welchen ganz konkreten Momenten unsere Grübelprozesse starten und wann und wie sie sich verselbstständigen. Im MBCT wird auch vermittelt, wie wir mit unangenehmen Gedanken und Gefühlen umgehen können, OHNE in Grübelspiralen, zu verfallen. Die ja mit angefangen von Schlaflosigkeit bis hin zu Depressionen Konsequenzen für unsere Gesundheit haben können. Wir arbeiten im MBCT mit kognitiven Übungen, die uns auf künftige schwierige Situationen vorbereiten sollen.

Wo sind die Grenzen, was kann MBCT nicht?

Tatsächlich wurde das Programm für Menschen entwickelt, die schon 3 oder mehr depressive Epsioden durchlitten haben und im nichtdepressiven Intervall etwas zur Rückfallprävention tun wollen. Es gibt Hinweise darauf, dass MBCT auch bei anderen Erkrankungen wirksam und hilfreich ist, bei denen ruminative, also grübelnde Prozesse eine Rolle spielen: Chronische Erkrankungen zum Beispiel oder Zwangsgedanken und vor allem Ängste. Ich persönlich glaube, dass es bei Long Covid Patienten hilfreich sein könnte, um erstens seine Belastungsgrenzen zu erkennen und zweitens die eigenen Ängste und Befürchtungen in Bezug auf die Zukunft besser bewältigen zu lernen.

Grenzen gibt es auch immer dann, wenn die Störung superakut ist: die Depression so schwer ist, dass der Antrieb fehlt oder die Angst/Panik so stark, dass es gar nicht möglich ist, sich seiner Situation zu stellen. Die Patienten sollten immer in der Lage sein, für sich selber die Verantwortung zu übernehmen, d.h. auch mal die eine oder andere Übung abbrechen oder auch auslassen zu können, wenn es zu bedrohlich wird. Sfoffgebundenen Süchte sind ebenfalls eine Kontraindikation: Die Übungen wirken dann einfach nicht.

Dr. Martina Aßmann leitet u.a. einen Workshop auf der MBSR-Jahreskonferenz, die vom 5. bis 17. November 2021 online stattfindet. www.mbsr-verband.de/jahreskonferenz

World Mental Health Day